Intelligente Fabriken, die sich selbst steuern, Störungen antizipieren und flexibel auf Produktionsänderungen reagieren, sind das Ziel von Industrie 4.0. Um die Produktion zu flexibilisieren, reicht es nicht aus, Maschinen und Anlagen mit Sensoren auszustatten. Die Signalströme aus dem Shopfloor müssen im Sinne der Fertigungslogik auch korrekt interpretiert werden. Voraussetzung dafür ist der Einsatz eines Digital Twins, der die digitale Planungswelt mit der realen Fertigungswelt verbindet.
Digital Twins ermöglichen nicht nur eine frühzeitigere Absicherung von geplanten Produktionsanlagen und eine virtuelle Inbetriebnahme, sondern in Verbindung mit Daten aus dem Shopfloor auch ihre Überwachung im laufenden Betrieb und eine schnellere Umrüstung bei Produktionsänderungen. Sie stellen ein digitales Abbild der Anlage dar, das sich dank virtualisierter Steuerung wie die reale Anlage verhält. Über eine IoT-Plattform kann der digitale Zwilling mit den Betriebsdaten der realen Anlage gefüttert werden, um ihr Verhalten zu simulieren und zu optimieren. Eine wesentliche Anforderung an diesen Factory Twin ist die Möglichkeit, riesige Mengen an Sensordaten in Echtzeit zu verarbeiten und in Beziehung zur Fertigungslogik zu setzen. Denn erst in diesem Kontext lassen sich die Daten für die Überwachung der Anlagen, die Steuerung der Abläufe und ihre flexible Anpassung bei Produktionsänderungen nutzen.
Abbildung 1: So kann der Digitale Zwilling dabei helfen, den Shopfloor und die Produktionslogistik zu vernetzen. Alle Abbildungen: © ASCon Systems GmbH
Abbildung 2: Es ist von der Sensorik abhängig, wie der Digitale Zwilling für die Anlagenoptimierung genutzt werden kann.
Warum der Brückenschlag zwischen digitaler Planungsund realer Fertigungswelt so wichtig ist, erläutert Matthias Stach, Geschäftsführer der ASCon Systems GmbH, die eine echtzeitfähige Digital Twin-Lösung entwickelt: „Ohne Rückkopplung der Daten aus dem Shopfloor passt der Planungsstand in kürzester Zeit nicht mehr mit dem zusammen, was in der Produktion passiert. Nur wenn es uns gelingt, schon in der Planungsphase die Verknüpfung zum digitalen Zwilling herzustellen, können wir die Planungsmodelle im laufenden Betrieb anpassen. Heute gibt es Technologien, um die Wirkweise von SPS oder Steuerung digital abzubilden, die uns vor fünf Jahren noch nicht zur Verfügung standen.“
Die Implementierung eines digitalen Factory Twins erfordert ein enges Zusammenspiel von Sensorik-, Fertigungs- und Planungs-Experten. Aus diesem Grunde kooperiert die ASCon Systems mit dem auf Sensorik spezialisierten Systemhaus iNDTact GmbH aus Würzburg und der SG Engineering GmbH aus Rothenburg odT, die Produktionsanlagen für Automobilund Sondermaschinenbau entwickelt. ASCon Systems bringt in die Kooperation den ASCon Digital Twin ein, der nach Einschätzung von Gartner das Potenzial hat, den Markt für Industrie-4.0-Anwendungen disruptiv zu transformieren. Die amerikanischen Marktforscher haben das junge Unternehmen deshalb zu einem der „Cool Vendor 2018“ ernannt.
Anlagen nur unvollständig digitalisiert
Die Unternehmen in Automobilindustrie und anderen Branchen der Fertigungsindustrie stehen vor der Herausforderung, ihre Produkte schneller auf den Markt zu bringen, wie Stach sagt. „Sie müssen vor allem den Produktionsanlauf beschleunigen, sonst werden sie von Newcomern überholt, die sich keine Gedanken darüber zu machen brauchen, wie sie ihre teuren Anlagen amortisieren.“ Eine zweite Herausforderung ist die Flexibilisierung der Produktion: Eine Produktionslinie für zwei Fahrzeugmodelle auf ein drittes umzurüsten, erfordert heute einen enormen Aufwand, weil die dahinter steckende IT hochproprietär und die Steuerungslogik hart in die Anlage einprogrammiert ist. Bei Brownfiled-Anlagen kommt das Problem hinzu, dass die Informationen für eine intelligente Steuerung nicht ausreichen. „Dort fehlen gewissermaßen die Augen und Ohren, und da sind wir dann schnell bei der Sensorik“, sagt Stach.
Die vollständige Digitalisierung der Anlagen, einschließlich zum Beispiel der Elektrik, der Steuerungssoftware oder der SPS ist wesentliche Voraussetzung für den Aufbau eines digitalen Zwillings, mit dem die Funktionsweise einer Anlage in der Planungsphase zuverlässig simuliert und im späteren Betrieb mit weniger Aufwand angepasst werden kann. Davon ist man in der Realität noch weit entfernt, wie Stefan Glanz, Geschäftsführer von SG Engineering, bestätigt.
Meist wird erst mal die mechanische Konstruktion und Simulation beauftragt, die aber eine rein kinematische Simulation der Abläufe ist. Ob das später steuerungstechnisch umgesetzt und geschaltet werden kann, weiß man erst, wenn Elektrik und SPS an Bord kommt. „Das führt immer wieder dazu, dass wir das Anlagenkonzept bei 70 Prozent Reifegrad noch einmal ändern müssen“, sagt Glanz. „Der Digital Twin ist nicht nur für uns eine enorme Erleichterung, sondern erspart auch dem Kunden viel Zeit bei der Inbetriebnahme.“
Abbildung 3: Der Digitale Schatten als Vorstufe des digitalen Zwillings.
Die Schwierigkeit, vor der die Anlagenplaner heute stehen ist, dass die Auftraggeber ihnen viele Informationen für die Digitalisierung der Anlagen zu spät zur Verfügung stellen und dass der Planungsprozess durch viele Medien beziehungsweise Systembrüche lückenhaft, fehleranfällig und ineffizient verläuft. Die heute verfügbaren Lösungen für CAD und digitale Fabrikplanung seien nicht durchgängig genug, bemängelt Stach: „Wir wollen die digitalen Anlagenmodelle mit der Digitalisierung sämtlicher Signalströme und aller Anlagendaten, einschließlich der Steuerung und SPS verknüpfen, damit die Planer bei Auftraggebern, Systemlieferanten, Engineering-Dienstleistern etc. über eine einfache Oberfläche jederzeit auf alle Daten zugreifen können.“
Simulation unter realen Bedingungen
Der digitale Zwilling der ASCon-Systems stellt den Planern alle relevanten Daten in einer Art Bibliothek zur Verfügung, aus der sie einfach bestimmte Elemente oder Funktionsbausteine herausnehmen und miteinander verbinden können. Die Bibliothek enthält nicht nur Bausteine für die Betriebsmittel, sondern auch beispielsweise für die Sensorik/ Aktorik mit der dazugehörigen Steuerungslogik, soweit sie Relevanz für die Wertschöpfung haben. Das hat unter anderem den Vorteil, dass Änderungen an diesen Bausteinen sofort in allen Anlagen wirksam sind, in denen sie verbaut sind. „Die Kunst besteht darin, das semantische Netz so aufzubauen, dass alle für die Funktionsfähigkeit einer Anlage relevanten Daten abgebildet sind“ betont Stach. Das ist die Voraussetzung, um sie unter realen Bedingungen simulieren zu können. „Die Anlagen virtuell in Betrieb zu nehmen ist keine ganz neue Idee, aber im ersten Anlauf gescheitert, weil die Offline-Programmierung am PC nie so funktionierte, wie man sich das vorstellte“, ergänzt Glanz. Grund dafür ist, dass die Wirkweise der Elektronik nie genau simuliert werden konnte. Es waren immer nur Näherungen: „Erst mit der neuen Generation von Software zur virtuellen Inbetriebnahme ist es möglich, die Wirkweise bis auf Ebene eines Feldbusses in Echtzeit zu simulieren. Die Echtzeit spielt hier eine ganz wichtige Rolle. Sie erlaubt es, Hard- und Software unter wirklichkeitsnahen Bedingungen zu simulieren. Dadurch spart sich der Anwender im Anlauf locker zwei Monate, weil man ohne die ganzen Testläufe und Anpassungen auskommt.“ In der Praxis sind es heute die Automatisierungstechniker, die mit viel manuellem Aufwand die Anlagen zum Laufen bringen und am Laufen halten. Sie sorgen an den Nahtstellen zwischen Anlage, Steuerung, SPS und IT-Systemen dafür, dass die Anlage genau das macht, was sie machen soll. „Der manuelle Aufwand ist deshalb so groß, weil relevante Steuerungsinformationen an einem Zellenrechner eingegeben oder sogar direkt an der Anlage programmieren werden“, erläutert Stach. „Unser Ziel ist es, diese Informationen leichter zugänglich machen, indem wir die Programmierung auf eine höhere Ebene heben und die Steuerungssoftware einfacher konfigurierbar machen.“
Neue Ideen für „intelligente“ Anlagen
Von der Zusammenarbeit mit iNDTact und ASCon verspricht sich SG Engineering neue Ideen für „intelligente“ Anlagen. Warum diese Intelligenz schon bei der Planung berücksichtigt werden muss, macht Glanz an einem Beispiel deutlich: „Man kann zum Beispiel in einer Schweißvorrichtung ein Sensorsystem anbringen, das anhand der Auswertung der akustischen Signale prüft, ob alle Schweißpunkte für die Verbindung von Bodengruppe und Seitenteil korrekt gesetzt sind. Heute werden dafür Fahrzeuge ausgeschleust, um die Schweißpunkte stichprobenartig zu prüfen. Das Ausschleusen und die Vorhalteplätze könnte man sich durch einen Sensor sparen.“ Clemens Launer, Geschäftsführer der iNDTact GmbH erläutert, wie die Prüfung der Schweißpunkte im Prinzip funktioniert: „Beim Setzen eines Schweißpunktes entsteht ein Körperschall, der eine Mischung aus Eigenschwingung des Materials und Prozessgeräusch ist. Die daraus abgeleiteten Parameter wie Signalform, Pegel und Frequenzanteile sind gewissermaßen ein Fingerabdruck des Prozesses.“ Um die Qualität der Schweißpunkte im laufenden Prozess zu prüfen, werden solche „Fingerabdrücke“ im Digital Twin hinterlegt, so dass jeder Schweißpunkt in Echtzeit auf Abweichungen davon geprüft werden kann. Die Sensorsysteme von iNDTact messen Schwingungen und Belastungen in Kombination mit Körperschall (beispielsweise durch akustische Emissionen) und erfassen damit alle wichtigen Größen, die Rückschlüsse auf den Zustand von Maschinen oder Prozesse ermöglichen. Sie registrieren beispielsweise, wenn Material anfängt zu brechen, sie zeichnen die Bewegung eines Gegenstands auf und die Belastung, der er dabei ausgesetzt war; sie spüren Lecks in Vakuumfolien auf, messen die Verteilung von Kräften und bemerken den Verschleiß eines Kugellagers, bevor es bricht, so dass rechtzeitig ein Ersatzteil angefordert werden kann.
Sensorsignale allein reichen nicht
„Unsere Sensorsysteme sind in der Lage, aus den Signalen gezielt bestimmte Informationen zu ziehen, aber erst die Verbindung mit Lösungen wie der von ASCon Systems ermöglicht ihre effektive Verwertung“, sagt Launer, der kein großer Freund von Big Data ist. Entscheidend ist nicht so sehr die Datenmenge, sondern die Relevanz der Daten. Deshalb braucht man Software, die nichtrelevante Signale herausfiltert. Die Vorfilterung ist unter anderem deshalb wichtig, weil die Datenübertragung auf dem Shopfloor an Grenzen stößt. „Während Rechner bei der Datenverarbeitung inzwischen schneller sind als das menschliche Gehirn, sind wir bei der Übertragung noch nicht soweit“, führt Launer weiter aus. „Deshalb müssen wir uns ständig fragen, wie viele Daten ein System an den nächsten Knoten weitergeben kann. Kritisch ist vor allem der erste Meter von der Sensoreinheit bis zum Gateway und von dort zu den Servern. Hier fallen in der Regel die größten Datenmengen an.“ Der Hype um Industrie 4.0 hat viele Unternehmen zu der falschen Vorstellung verleitet, dass es ausreicht, überall Sensoren einzubauen und aus den Sensordaten dann mit Hilfe Künstlicher Intelligenz und/oder Big Data Analytics etwas Sinnvolles zu machen. Nach der ersten Ernüchterung hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass man Kontext und Fertigungslogik kennen muss, um aus den Daten einen Mehrwert zu ziehen. „Unsere Software bringt genau diesen Kontext mit der Funktionsweise der Anlagen zusammen. Aber wir brauchen den engen Schulterschluss mit Anlagenplanung und Sensorik, um den Mehrwert für unsere Kunden vollständig nutzbar zu machen“, fasst Stach das Ziel der Zusammenarbeit mit iNDTact und SG Engineering zusammen.
Michael Wendenburg
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