Zukunft der Fertigung: Wie digitale Zwillinge die Industrie 4.0 voranbringen
Digitale Zwillinge bilden real oder künftig existierende physische Objekte und Prozesse digital ab. Sie unterstützen Unternehmen dabei, ihre Wertschöpfung zu steigern und effizienter, kostengünstiger und nachhaltiger zu produzieren. Jedoch wird ihr Potenzial – besonders in der Software-definierten Fertigung, die viele Unternehmen anstreben – oft noch nicht ausgeschöpft.
Eine schnellere Markteinführung von Produkten, erhöhte Flexibilität in der Produktion, größere Unabhängigkeit von Fachkräften und Ressourcen sowie schnellere Reaktionsmöglichkeiten und Anpassungen an Marktveränderungen: Diese Mehrwerte führen dazu, dass sich digitale Zwillinge in immer mehr Geschäftsprozessen in der Industrie und hier insbesondere in der Fertigung etablieren und die digitale Transformation beschleunigen. Digitale Zwillinge sind zudem eine Schlüsseltechnologie und das Herzstück des Industrial Metaverse, das für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in Deutschland eine zunehmend wichtigere Rolle spielt.
Aktuell werden digitale Zwillinge in der Fertigung besonders in der Fernüberwachung und von Produktionsüberwachung und -optimierung, der vorausschauenden Wartung, der Qualitätskontrolle sowie bei der Produktentwicklung und dem Produktdesign eingesetzt. Innerhalb dieser Wertschöpfungsketten ermöglichen sie eine kontinuierliche Analyse der Produktionslinie. So können Unternehmen schnell Engpässe und Ineffizienzen und zudem Abweichungen von der Qualität identifizieren und beheben, potenzielle Ausfälle frühzeitig erkennen und Wartungsmaßnahmen ergreifen, bevor es zu Produktionsstillständen kommt.
Der Digitalverband Bitkom e.V. hat im April 2023 die Ergebnisse einer Befragung von 603 Unternehmen zu digitalen Zwillingen veröffentlicht. Demnach setzen 66 Prozent der befragten Unternehmen bereits digitale Zwillinge ein, planen dies oder können sich das grundsätzlich vorstellen. Laut Bitkom sind 63 Prozent der befragten Industrieunternehmen zudem der Meinung, dass „digitale Zwillinge unverzichtbar sind, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können“. Verschiedene Einsatzszenarien zeigen, warum die Bedeutung von digitalen Zwillingen in Zukunft weiter zunehmen wird und welchen Beitrag sie zum Geschäftserfolg leisten können.
IoT und KI treiben die Evolution der digitalen Zwillinge
Das Konzept des digitalen Zwillings hat sich in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt. Waren digitale Zwillinge ursprünglich lediglich digitale Modelle und Kopien von realen Zuständen, sind sie heute dynamische, datengetriebene Modelle, mit denen Echtzeit-Überwachung, Simulation und Optimierung von Produktionen und Produkten möglich ist. Sie können – müssen aber nicht –zusammen mit der Verwaltungsschale eingesetzt werden, die für die notwendige Interoperabilität in den Industrieprozessen sorgt. Die Treiber hinter der Evolution der digitalen Zwillinge ist zum einen der internationale Wettbewerbsdruck, der höhere Anforderungen an eine flexible und hoch-effiziente Produktion stellt. Zum anderen sind es Fortschritte in Technologie und Infrastruktur, die den Weg zu Weiterentwicklungen und Innovationen ebnen.
Das Internet der Dinge (IoT, Internet of Things) führt zu einer zunehmenden Verbreitung und Verbesserung von Technologien zur Datenerfassung und Vernetzung von Maschinen untereinander und mit Kommunikationsgeräten wie Tablets und Smartphone. Die Darstellung erfolgt auf cloudbasierten Plattformen. Durch die Ausstattung mit kommunikationsfähigen Sensoren hat sich sowohl die Menge an Geräten und Prozessen erhöht, die Daten senden und empfangen, als auch die Menge und Qualität der Daten, die den digitalen Zwillingen zur Verfügung stehen. Digitale Zwillinge profitieren zudem von Künstlicher Intelligenz (KI) und Machine Learning. Die Technologien erlauben es, „Big Data“, also große Datenmengen, effizient auszuwerten. Sie legen die Basis für präzise Vorhersagen sowie Optimierungen bei Prozessen und Maschinen.
Einsatzszenarien für digitale Zwillinge in der Zukunft
Digitale Zwillinge sind ein wichtiger Baustein in der Software-definierten Produktion (Software-defined Manufacturing, SDM). Sie lassen sich bereits jetzt und immer besser in Zukunft in verschiedenen neuen Anwendungen der Fertigung einsetzen. Das zeigen diese Beispiele:
1. Steuerung und Monitoring autonomer Fertigungsanlagen
Digitale Zwillinge spielen eine zentrale Rolle bei der Steuerung und im Monitoring autonomer Fertigungssysteme. Dabei spiegelt und sammelt der digitale Zwilling die laufenden Daten der Maschinen und Prozesse, er überwacht den Betrieb in Echtzeit, erkennt Anomalien und Abweichungen und er macht Vorschläge zur Optimierung, die in der Realität umgesetzt werden können, die sich auf die Realität auswirken. Zeigt zum Beispiel eine Maschine Anzeichen von Verschleiß, kann der digitale Zwilling eine präventive Wartung empfehlen und auch direkt durchführen, in dem er den Produktionsplan entsprechend anpasst. Der digitale Zwilling fungiert als Kontrollzentrum, der die Roboter, Maschinen und Prozesse in Echtzeit koordiniert und steuert.
2. Mehr Nachhaltigkeit und besseres Energie- und Ressourcenmanagement
Digitale Zwillinge werden zur Optimierung des Energieverbrauchs und zur Verwaltung von Ressourcen eingesetzt. Sie können verschiedene Szenarien simulieren und Hinweise darauf geben, wo der Energiebedarf sinnvoll gesenkt und Ressourcen effizient genutzt werden können. Das führt zu drei starken Vorteilen: geringere Energiekosten, nachhaltigere Produktion durch verringerte Umwelt- und Abfallbelastung und optimierte Ressourcennutzung. Mehr dazu: Wie digitale Zwillinge die Circular Economy voranbringen
3. Innovationen, erweiterte Zusammenarbeit, Integration und neue Geschäftsfelder
Digitale Zwillinge ermöglichen eine nahtlose Integration von Lieferketten, Zulieferern und Partnern. Dies fördert die Zusammenarbeit und Koordination über Unternehmensgrenzen hinweg. Die Vorteile liegen in einer verbesserten Lieferketten-Effizienz, einer erhöhten Transparenz und Rückverfolgbarkeit. Die Simulation und Analyse von Produktionsprozessen und Produkten führt zu kürzeren Entwicklungszyklen. Neue Ideen und Technologien können im digitalen Zwilling risikofrei und ohne Material zu verwenden ausprobiert und optimiert werden, bevor sie in die reale Produktion überführt werden. Unternehmen können dadurch neue Produkte schneller auf den Markt bringen. Die Fähigkeit, Prozesse und Produkte virtuell zu testen und zu simulieren, fördert die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens.
4. Maßgeschneiderte, kundenspezifische Produktion
Digitale Zwillinge können beides, die Produktion verändern und das Produkt. In der Produktion ermöglichen sie eine flexible Anpassung an veränderte Produktionsanforderungen. Unternehmen können schneller auf Marktveränderungen reagieren und ihre Produktionslinien entsprechend anpassen. Mit digitalen Zwillingen ist die Software-zentrierte Fertigung möglich. Damit können Produktvariationen auf Software- statt auf Hardware-Ebene realisiert werden und so jederzeit skalieren. Neue oder andere Kundenwünsche und Kundenanforderungen können dadurch stets in den digitalen Zwilling integriert und maßgeschneiderte Produkte in Echtzeit entwickelt und produziert werden.
5. Digitale Zwillinge als Herzstück des Industrial Metaverse
Im Industrial Metaverse ermöglichen digitale Zwillinge eine immersive und interaktive Umgebung, in der physische und virtuelle Welten verschmelzen. Das fördert Innovation und führt zu einer verbesserten Effizienz und Produktivität. Digitale Zwillinge sind das Herzstück des Industrial Metaverse, eben weil sie eine präzise und dynamische digitale Repräsentation physischer Objekte, Systeme und Prozesse bieten, Simulationen und Bidirektionalität ermöglichen.
Aus der Praxis: Bessere Software-definierte Fertigung
Es gibt unterschiedliche digitale Zwillinge. Bei uns kommen bidirektionale digitale Zwillinge zum Einsatz. Sie sind in der Lage Daten in Echtzeit zu empfangen und sie können Daten zurück in die Realität senden. Dieses Vorgehen beschleunigt die Transformation zur Software-definierten Fertigung: Der hart-kodierte Shopfloor wird in einen softwaredefinierten umgewandelt, die klassische Automatisierungspyramide durch intelligente, fähigkeitsbasierte Produktionsmodule ersetzt. Durch den Einsatz vernetzter Microservices steuern wir die Produktion und ersetzen die traditionelle SPS. Digitale Zwillinge bieten die Echtzeit-Darstellung der Produktionsanlagen und -prozesse, was fundierte Entscheidungen auf Basis aktueller Daten ermöglicht. So können wir die Wertstromsteuerung für jedes einzelne Produkt anbieten – mit traditionellen Technologien ist das oft nicht möglich.
Zwei Beispiele: Wir haben gemeinsam mit einem Forschungsverbund gezeigt, wie digitale Zwillinge bis zu 29,5 Prozent Energie im Maschinenbau sparen können, wenn die Dosierung von Kühlschmierstoffen auf einem digitalen Zwilling basieren würde. Das Projekt zeigt auch das Optimierungspotenzial durch die Kombination von verschiedenen Maßnahmen, wie Retrofit, digitale Zwillinge und Data Science.
Bei unserem Kunden BMW haben wir digitale Zwillinge in seinem Innovation Hub in Dingolfing (Bayern) mit Erfolg eingeführt (die ausführliche Beschreibung: BMW testet die Fabriksteuerung der Zukunft mit digitalen Zwillingen). Hier ging es besonders darum, Steuerung und Monitoring zu optimieren. Eine Anordnung auf einer Teststrecke zeigt das Zusammenspiel des realen Shopfloors mit digitalen Zwillingen, die dabei mehrere Funktionen erfüllen: Sie werden direkt als IT-Services ausgeführt, die die Anlage steuern, sie interagieren miteinander und beeinflussen die Produktion und sie stellen unternehmensweit umfassende Informationen zu Produktions- und Logistikprozessen und Produktrealisierungen bereit.
Trotz aller Vorteile und trotz des weiten Einsatzbereichs von digitalen Zwillingen wissen viele Unternehmen oft noch nicht, wie sie bei dem Thema den Anfang finden können. Wir haben deswegen einen mehrstufigen Digital-Twin-Readiness-Check entwickelt. Damit lässt sich schnell erkennen, wie die unternehmenseigene Infrastruktur aufgestellt ist, wie sie im Hinblick auf die Integration von digitalen Zwillingen optimiert werden müsste und welche Strategie einer Roadmap zur Umsetzung zugrunde gelegt werden kann. Mehr dazu: https://ascon-systems.de/aim